Für eine Session am UX-Camp Vienna letzten Samstag habe ich diesen Vortrag vorbereitet. Schon länger beschäftigt mich das Thema Content First, denn ich halte es für mehr als ein aktuelles Buzzword der Webdesigner-Welt. Ich wollte den Rahmen nutzen um meine Erkenntnisse zu teilen und von den Erfahrungen anderer zu lernen.
Warum mir das Thema wichtig ist
Kurz gesagt weil ich dadurch besser und nachhaltiger arbeite. Am Anfang sah ich meine Aufgabe als Designer darin etwas zu verschönern. Ich mache ein tolles Layout mit ein paar Templates und irgendwelche Inhalte landen am Ende in diesem Layout. Schon vor längerer Zeit habe ich ein ernüchterndes Gefühl erlebt. Nämlich dann, wenn ich bemerkt habe, dass sich der Content nicht wirklich mit dem Design verschränkt. Das ganze schöne Design, das ganze Planen für ein mittelmäßiges Endprodukt. Und dafür ist nicht der Kunde als Content Creator alleine verantwortlich, ich bin es ebenso. Denn mein Prozess sollte es zulassen, dass wir uns auf einander abstimmen können.
Warum überhaupt Content first?
Die Zeiten der exzessiven Effekthascherei, wie es damals unter Flash beliebt war, sind vorbei (oder fast). Mit Responsive Webdesign bezieht sich das Internet noch deutlicher auf seinen inhaltlichen Kern und das ist meistens Text. Natürlich können es auch Bilder, Videos, Audio, etc. sein, doch Text ist das dominante Medium im Web.
Der User lässt sich nicht mehr so leicht blenden. Auf Smartphones mit wenig Platz am Bildschirm bleibt das Wesentliche. Und das muss gut sein, schickes Design kann hier (und auch sonst) nicht „retten“. Es gibt weniger Geduld und weniger Toleranz für unnütze Dekoration, Werbeblöcke und Ablenkungen, die nicht das unterstützen wofür die Besucher da sind. Vielleicht hat es mit der Emanzipation des Internets zu tun? Es geht nicht mehr darum einfach Inhalte von Printmedien irgendwie auf den Bildschirm zu bringen, sondern sie mediengerecht für die Bedürfnisse der User anzupassen, den User dort abzohlen wo er ist.
“I want to connect my website with this audience […] so they need to see the things that allow that to happen. And without understanding the content our designs are just guesses.”
Die Rolle des Designers
Die gute Nachricht: ich erfahre tendenziell, dass Kunden professionelle Gestaltung immer wichtiger wird. Die schlechte Nachricht: Viele Kunden glauben mit gutem Design schlechten Inhalt „retten“ zu können. Ich selbst sehe mich als Designer nicht als jemand der Dinge aufhübscht. Ich möchte Kundinnen und Kunden beraten, Inhalten die passende Form verleihen und dadurch nachhaltige Lösungen schaffen.
“Content precedes design. Design in the absence of content is not design, it’s decoration.”
Natürlich kann eine inhaltlich gute Idee ihre Wurzeln auch in der Gestaltung haben, doch eine reine Design-First Herangehensweise kann gefährlich sein. Wir bewegen uns als Gestalter dann in die Richtung der Template-Designer. Wir schaffen leere Gefäße die im schlimmsten Fall mit unpassenden Inhalten gefüllt werden.
Designer loves Content?
Dann sollten wir doch als Designer alle Content lieben? In einer idealen Welt werden wir so nämlich vom Kern der Sache inspiriert. Unser Design wird besser und nachhaltiger und macht schlussendlich das, wofür es eigentlich gedacht ist: Inhalte formal unterstützen.
Drei Ausreden
Und dennoch: Ich habe das Gefühl, dass Webdesignern es eher vermeiden wollen wirklich viel mit den Inhalten zu tun zu haben. Ich nehme mich hier selbst nicht aus, denn es bedeutet Aufwand sich damit auseinander zu setzen, vor allem, wenn man Inhaltserstellung nicht als seine Kernkompetenz sieht. Dann folgen Ausflüchte:
1. Es ist mühsam
In erster Linie wirkt es mühsamer sich mit echten Inhalten zu beschäftigen wenn man einfach Lorem ipsum und ein schönes Stockfoto ins Layout knallen kann. Was aber noch viel mühsamer ist, ist nachher die Fehler des Layouts ausbessern zu müssen, weil man merkt, dass Inhalt und Form nicht zusammen passen. So gesehen ist Lorem ipsum nur eine Zeitbombe. Das Auseinandersetzen mit dem Content erleichtert vieles, spart Zeit und Geld. Der Inhalt weist den Weg und zeigt was möglich sein kann. Schlussendlich ist es einfach Teil des Jobs sich damit auseinander zu setzen (siehe nächster Punkt).
2. Es ist nicht meine Aufgabe
„Wozu gibt es denn Texter oder Redakteure?“ – Das stimmt natürlich und ab einem gewissen Grad ist der Inhalt auch nicht die Aufgabe des Designers. Doch der Designer sollte den Inhalt verstehen, seine Struktur, seine Funktion, wofür er geschrieben ist. Mindestens auf dieser Meta-Ebene ist der Einfluss des Designers oder der Designerin notwendig. Um ehrlich zu sein – man braucht diese Informationen ja auch um sinnvoll gestalten zu können. Auch wenn es Redakteure und Texter für das Erstellen der eigentlichen Texte gibt, muss man mit ihnen reden, fragen was sie brauchen, welche Arten von Inhalt sie unterbringen wollen. Das ist Aufgabe des Designers.
3. Der Inhalt ist schlecht
Dieser Grund lässt mich auch jetzt noch am meisten zurückschrecken. Ich sehe Content als einen Teil des Prozesses, möchte das Design dessen Bedürfnissen anpassen und dann merke ich, dass die Inhalte einfach grottenschlecht sind. Was mache ich dann? Schweigen? Es hinnehmen? Und am Ende kommt eine miese Website heraus? Im schlimmsten Fall werde ich gefragt, warum ich das nicht schon vorher angemerkt habe.
Es ist eigentlich nicht die Angst davor, dass der Inhalt schlecht sein könnte, sonder eher meine Unsicherheit wie ich darauf reagieren soll. Wie kann ich Hilfestellung (auch über Dritte) bieten, dass der Content qualitativ hochwertig wird? Wie kann ich Kunden dabei unterstützen? Und wie kann ich sie überzeugen, dass guter Inhalt Geld und Ressourcen benötigt?
Fünf Erfahrungen
1. Content in den Prozess integrieren
Als Designer muss ich auf das Thema und dessen Stellenwert aufmerksam machen. Und zwar schon ganz am Anfang des Projektes. So kann die Inhaltserstellung eingeplant werden und man sich auf dem Weg abstimmen.
2. Mitspracherecht einfordern
Mit einem Blick von außen sehen wir als Designer oft Unschlüssigkeiten in Struktur und Inhalt, die der Kunde gar nicht mehr hinterfragt. Hier sollten wir Mitspracherecht einfordern um Dinge gemeinsam optimieren zu können. In einer Beraterposition ist dies durchaus möglich. Doch Vorsicht: irgendwo muss man auch seine Grenzen setzen, sonst kann es damit enden, dass man mehr mit den konkreten Texten zu tun hat, als man eigentlich möchte.
3. Früh im Browser arbeiten
Dem Kunden hilft eine Möglichkeit seinen Content irgendwo lebendig und in Aktion zu sehen. Niemand ist motiviert wenn man eine Website als Trockentraining komplett in Word schreibt, vor allem nicht, wenn es eine sehr umfangreiche Seite ist. Wenn man schon früh ein CMS aufsetzt und der Kunde hier hineinarbeiten kann, können Designer, Developer und Kunde gemeinsam arbeiten. Und das auch schon bevor das Design fixfertig ist.
4. Contenterstellung muss im Alltag tragbar sein
Der Kunde muss bewusst Ressourcen haben die Inhaltserstellung im Alltag und in seine Prozesse zu integrieren. Es hat wenig Sinn ein Konzept zu erstellen, dass jede Woche neue Inhalte vorsieht, wenn dies nicht für den Kunden umsetzbar ist (auch wenn er es sich vielleicht wünscht). Blogs sind z.B. ein großartiges Kommunikationsmedium, doch ist dem Kunden bewusst, dass er dafür mindestens drei Stunden Zeit pro Woche investieren muss? Denn ein leeres Blog ist nur peinlich.
5. Finetuing einplanen
Eine Phase gemeinsamer Optimierung von Inhalt, Design und Code zwischen Kunde, Designer und Developer ist immer sinnvoll. Von der Illusion des plötzlich fertigen Kunstwerks muss man sich verabschieden. Man kann nur gute Ergebnisse liefern, wenn man sich die Möglichkeit offen lässt zu erkennen wie alles im Zusammenspiel funktioniert. Und das vor dem geplanten Launch-Termin.
The Atomic Piece of Content
Steve Fisher beginnt die Zusammenarbeit mit seinen Kunden inhaltsbasiert. Zuerst macht es sich mit den bestehenden Inhalten vertraut (Content inventory). Dann hält er mit den Kunden einen Workshop, der auch über mehrere Tage gehen kann. Er verfolgt dabei diesen Prozess:
- Content Audit and Analysis – Gemeinsames Bewerten und Analysieren des vorhanden Inhalts der Website.
- Definieren der UX-Vision und Ziele des Projekts – dies schafft die Grundlage auf der zukünftige Entscheidungen beurteilt werden.
- Content-Modeling und Priorisierung – Man überlegt sich für jede einzelne Seite welche Inhalte darin vorkommen sollten und ordnet diesen Gruppen zu. Gruppe 1 sind essenzielle Inhalte ohne die die Seite keinen Sinn hätte. Gruppe 2 sind unterstützende Inhalte, die vertiefen. In Gruppe 3 kommt Verzichtbares – alles was zwar ganz nett ist, man aber auch weglassen könnte.
Ziel ist es für jede Seite den wichtigsten Inhalt zu finden um den sich alles andere dreht, wie in einem Atommodell. Dafür ordnet man die einzelnen Stücke des Contents innerhalb der drei Gruppen noch einmal nach Wichtigkeit. Meistens sind die ersten beiden Inhaltsstücke in Gruppe 1 diese Atomic Pieces of Content, der essenzielle Inhalt einer Seite. Den Prozess im Detail beschrieben findet man im Podcasts The Web Ahead #57 ab Minute 7:30.
Wie geht ihr vor?
Ich selbst finde das Vorgehen des Atomic Piece of Content schon zu aufwendig um es (als Designer) selbst machen zu wollen. Hierfür braucht es (vor allem bei größeren Websites) Content Strategists, deren Aufgabenbereich genau das ist. Denn mit diesen Ergebnissen möchte ich arbeiten. Doch wie geht ihr vor? Welche Wege gibt es noch? Wie überzeugt ihr Kunden davon, dass guter Inhalt auch eine Investition ist? Ich freue mich über Kommentare!
Mehr dazu
- Meine Präsentation Keine Angst vor Content auf Slideshare
- Blogartikel von Brigitte Alice Radl UX Camp Vienna mit Content im Blick
- Präsentation Iterative Inhaltsentwicklung & Testen von Content Concepts von Brigitte Alice Radl
Leave a Reply