Lärmende Orgien wildgewordener Buchstaben

Keiner konnte so bissig sein, ohne dabei die Sachlichkeit aus den Augen zu verlieren. Denn das typografische Urgestein Jan Tschichold „schimpfte“ nicht nur, er hat für seine Annahmen immer gute Begründungen. Und er wusste es einfach, wie man so richtig eindringlich formuliert.

Wenn ich in seinen Büchern lese muss ich oft dabei grinsen. Der Mann hatte Leidenschaft zur Schrift und hat sie herausgelassen:

„Liegt es nicht klar zutage, daß mit Schrift umzugehen keineswegs einfach ist? Beim Gang durch eine Stadt begegnen wir auf Schritt und Tritt häßlichen Namenszügen über den Läden, wie von Leuten entworfen, die nicht schreiben, sondern nur den eigenen Namen notdürftig malen könne, träge dahinfließend wie lauwarme Lava, eitel und unleserlich dazu. Wir beschmutzen unsere Hände täglich an den mit Druckerschwärze überladenen häßlichen Tageszeitungen und ermüden unser Auge mit den ungeeigneten Schriften ihrer redaktionellen Teile. Die Ortsnamen auf den Bahnhöfen sind fast ohne Ausnahme abstoßende Muster mißratener Schriftformen und mangelnden Gleichmaßes. Die Drucksachen, die uns stündlich begenen, sind nur selten in angenehmen Lettern und übersichtlich gedruckt. Häufig sind sie lärmende Orgien wildgewordener Buchstaben und selbstbewußt auftretender Wurstigkeit. Wie lange müßte man suchen, um eine gepflegt aussehende, höflich und schöne Geschäftskarte zu finden! Gute Manieren sind, auch im Gebrauch von Schrift, selten.“

Jan Tischichold aus „Das Detail in der Typografie“

Geschrieben in der Einleitung seinen Buches „Erfreuliche Drucksachen durch gute Typographie“ (bei amazon.de) von 1960. Vieles davon hat sich bis heute nicht geändert.


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